Geschmäcker sind verschieden – vor allem, wenn man sie im Wandel der Zeit betrachtet. So musste auch der ehrwürdige Champagner viele Moden über sich ergehen lassen, ehe er zum trocken-perligen Brut der Neuzeit wurde. Nur zu gut, dass einer Reimser Witwe 1868 hierfür die zündende Idee kam. Und noch besser, dass sie in Form des Pommery Cuvée Louise Brut Nature ein Comeback feiert.
„Ich, Madame Pommery, habe den Entschluss gefasst, das Unternehmen im Namen meines verstorbenen Mannes weiterzuführen.“ Mit diesen selbstbewussten Worten wandte sich die Witwe Pommery 1858 an die französische Öffentlichkeit. Zu einer Zeit, als Frauen fest an Haus und Hof gebunden waren, ergriff sie die Chance ihr geliebtes Familienunternehmen weiterzuführen und legte damit den Grundstein für eine internationale Erfolgsgeschichte. Ihr Mann, Alexandre Pommery, hinterließ ein ansehnliches Vermögen aus dem Wollhandel, zwei Assistenten und nicht zuletzt eine kleine Tochter. Ihretwegen, so heißt es, nahm die Enddreißigerin allen Mut zusammen und wagte einen Neustart in der florierenden Schaumwein-Branche.
Mit 50 Hektar Gesamtfläche ist die Domaine Pommery so groß wie der Louvre, die Tuilerien-Gärten sowie der Place de la Concorde zusammengenommen. Die zahlreichen elisabethanischen Türmchen, Nischen und Erker trotzen dem Zahn der Zeit und zeugen vom Perfektionismus ihrer Bauherrin, die im Juli 1868 einen kühnen Entschluss fasste: Ausgediente römische Kreidestollen sollten Madame Pommery als Lagerstätten für ihren Champagner dienen. Zu diesem Zweck heuerte sie eine Armada von Bergleuten an, die binnen zehn Jahren ein 18 Kilometer langes Tunnelsystem aus Lagergewölben, Bogengängen und Transportwegen in den Boden stampften. Im Zentrum der Hauptkeller „Carnot“, dessen Wände mit gigantischen Flachreliefs von Künstler Gustave Navlet verziert wurden.
Aufgrund zahlreicher Geschäftsreisen nach Großrbitannien, wusste Madame Pommery nicht nur um die kulturelle und architektonische Vorreiterschaft der Engländer, sondern auch um deren Einfluss auf Kulinarik. Was man in England aß und trank, galt auch andernorts schnell als schick. Ende der 1860er Jahre beobachtete sie in London eine Abkehr von süßen Weinen, hin zu ausgewogeneren, eleganten Bouquets. Prompt schrieb sie an ihren Kellermeister Olivier Damas: „Damas, wir brauchen einen Wein, so trocken wie möglich, aber nicht steif… Er soll weich, sanft und ausgewogen sein… Achten Sie vor allem auf die Finesse.“ So entstand im Jahre 1874 der weltweit erste Brut Champagner mit dem Namen „Pommery Nature“. Er bedeutete eine Zäsur für das Champagnerhaus – sowie die gesamte Region.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Champagner nämlich hoch dosiert, süßlich und von hohem Alkoholgehalt. Um ihre revolutionäre Idee umzusetzen, verlegte Madame Pommery den Erntezeitpunkt nach hinten, was reifere Früchte für die Produktion hervorbrachte. Ebenso verlängerte sie die Reifezeit im Keller und vergrößerte den Bestand an Reserveweinen. Ein kostspieliges Unterfangen für das erfolgreiche, dennoch kleine Winzerhaus. Infolge häuften sich die Auseinandersetzungen mit Madame Pommerys kaufmännischen Beratern. Die Zeit sollte der risikofreudigen Witwe jedoch Recht geben.
Gute 140 Jahre später ist Louise Pommerys geistiges Erbe präsenter denn je. „Als Hommage an die Historie des Hauses beschlossen wir, in diesem Jahr neben der traditionellen Prestige Cuvée Louise, die Cuvée Louise Brut Nature 2004 ohne Dosage zu vinifizieren. Sie erinnert mit ihrem null Gramm Restzuckergehalt an den berühmten Pommery Nature aus dem Jahr 1874.“, erklärt Thierry Gasco. Mit dem knochentrockenen Brut stellt der Kellermeister seinem Jahrgangs-Champagner ein kurioses Geschwisterchen zur Seite. Aber kann der Cuvée Louise Brut Nature 2004 heute überhaupt noch schmecken?
Während sich beide Tropfen optisch nicht voneinander unterscheiden, versprühen sie auf Anhieb unterschiedliche Aromen: Der Brut Nature wird dominiert von getrockneten Zitrusschalen sowie weißen Blüten, umrahmt von einer ausgeprägten Mineralik. Das Bouquet der Schwester ist hingegen floral und zeigt zuweilen würzige Noten. Nussbutter, Hefe und Marzipan erobern die Zunge ab dem ersten Schluck. Spürbar säurebetont und frischer das Geschmacksprofil des historischen Champagners mit langem, wohligen Nachklang. Trotz ihrer beachtlichen Unterschiede sind beide Schwestern zum Verlieben. Geschmäcker können sich eben ändern, guter Stil bleibt über Jahrhunderte – so wie auch das Vermächtnis von Madame Pommery. Wofür würdet irh euch entscheiden? Fur den „Prestige Cuvée Louise“ oder den „Pommery Cuvée Louise Brut Nature“?
Alle Bilder: (c) Pommery; Logo: (c) Mann von Welt